Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Ernährung wird immer mehr Menschen bewusst. Sie suchen gesunde und ­zunehmend pflanzliche Lebensmittel. Gleichzeitig ist echte ­Hand­werkskunst wieder gefragt. Und der Sauerteig feiert sein Comeback. So reagieren Handwerk und Industrie auf die aktuellen Trends. 

Ein Vertreter vorherrschender Backtrends ist Sascha Schäfer vermutlich nicht. Allein der Name seiner Buxtehuder Backstube dürfte polarisieren: „Die Backsau“ – angelehnt an den Spitznamen, den ihm Kollegen einst ­gegeben hatten. Schäfer setzt vielmehr seine eigenen Trends. Wenn „die Backsau“ so richtig in Fahrt kommt, dann gibt es ausgefallene Brotkreationen wie etwa Honig-Käse-Senf-, Blumenkohl-Weiße-Schokolade-, Grünkohl- oder auch Currywurst-Brot. 

Und dazu werden stets Verzehrempfehlungen ausge­sprochen – das Orange-Hirse-Minze-Emmerbrot etwa „kommt gut mit Lachs, Kresse und Weißwein“. Gebacken werden die besonderen Brote entsprechend eines detaillierten Plans parallel zu den vier bis fünf täglichen Standardbroten. Und damit ist Schäfer doch Teil eines größeren Trends. Denn immer mehr Handwerksbäcker arbeiten mit Brotplänen, um mit wechselnden Kreationen den Nerv ihrer Kunden zu treffen – wöchentlich oder auch saisonal.  

Für Bäckermeister Christoph Heger sind Brotpläne ein Befreiungsschlag. Er empfiehlt seinen Kollegen nicht zuletzt angesichts enger Personalressourcen einen Schritt zurückzutreten und ihr Sortiment „radikal zu überprüfen“. Will heißen: statt immer mehr zu machen – „vielleicht noch Eis oder Süßes“ – lieber weniger und dafür in bestmöglicher Qualität. Brotpläne seien eine wunderbare Möglichkeit, mit einem schmalen Sortiment viele Kunden glücklich zu machen. 

Die Handwerksbäckerei stehe vor einem Wandel, ist Heger überzeugt. „Wir haben die Kunden viel zu lange verwöhnt“, so der Bäckerei-Berater, „machen zum Beispiel zehn verschiedene Körner-Brote, alle aus dem gleichen Mischteig, nur einmal mit Leinsamen, Sonnenblumen- oder Kürbiskernen drin.“ Doch „wer braucht das?“ 

JEDER BÄCKER BRAUCHT SEIN „SIGNATURE BROT“

Letztlich, glaubt Heger, brauche jeder Bäcker sein „Signature Brot“, wie er es nennt. Ein Brot, das „von Qualität und Optik her das Team, das Know-how und das Mindset des Betriebes repräsentiert und unverwechselbar ist“. Gänzlich verinnerlicht hat dieses Konzept offenbar die Hamburger Bäckerei Bread.love. Die stellt Tag für Tag nur einen einzigen Teig für vier Brotformate her und ist damit wirtschaftlich durchaus erfolgreich. 

Für die meisten Bäcker dürfte dies allerdings keine Option sein. Es gibt andere Wege sich abzuheben. In Stuttgart etwa hat Bäckermeisterin Sophie Henne vor zwei Jahren die Brotique eröffnet, die ausschließlich mit Bio-Sauerteig backt, egal ob klassische Misch- und Dinkelbrote oder Focaccia und Zimtschnecken. Damit ist die junge Gründerin offenbar in eine Lücke gestoßen, der Ansturm zum Start war gewaltig. Allerdings ist sie nicht allein. Sauerteig hält mit schnellen Schritten wieder Einzug in die deutsche Backkultur. 

HOBBYBÄCKER BRINGEN DEN SAUERTEIG ZURÜCK

„Wir haben 5.000 Jahre lang mit Sauerteig gebacken“, weiß Thomas Lepold, Diplom-Ingenieur für Bäckereitechnologie. Erst 1860 sei dann die Hefe in die Backstuben gekommen. Das sei zwar nicht unbedingt schlecht, sagt Lepold, „außer, dass Hefe energieintensiv ist“. Seine Liebe gilt jedoch eindeutig dem viel bekömmlicheren Sauerteig, aus dem „man ja wirklich alles machen kann, ob Croissants, Baguette oder Rosinenbrötchen“. Bereits seit 2005 vertreibt er mit seiner Firma Backnatur Ferment für reinen Sauerteig.  

Das aktuelle Revival des Klassikers führt Lepold nicht zuletzt auf die Heimbäcker und Blogger zurück, die das Internet mit Bildern schöner großporiger Brote mit offener Krume fluten. „Danach fragen die Kunden dann auch bei ihrem Bäcker.“ Und dass während Corona mehr Menschen selbst gebacken und sich mit Ernährung und Gesundheit beschäftigt haben, dürfte den Trend weiter beflügelt haben. 

Und dieser erfasst zunehmend auch Feingebäck, wie Petra Fuchs, Leiterin Backzutaten-Marketing beim Kulmbacher Hersteller IREKS, beobachtet. In Italien sowie Brasilien sei Sauerteig in Feinbackwaren Standard, etwa im weltbekannten Panettone. „Der enthaltene Lievito Madre prägt das Spiel von zart-schmelzender Krume und einzigartigen Fermentationsaromen“, schwärmt Fuchs. Vor zwei Jahren hat IREKS daher ein Joint Venture mit der Meraner Mühle in Südtirol zur Entwicklung innovativer Sauerteige gegründet. 

EIN GROSSER TREND: HANDWERKLICHE PRODUKTE

Und wie steht es um die weiteren Branchentrends? Um diese zu erforschen, führt Zutatenhersteller Puratos alle zwei bis drei Jahre seine „Taste-Tomorrow“-Befragung durch und analysiert zusätzlich Social-Media-Kanälen. Geschäftsführer Niko Testen fasst seine Erkenntnisse so zusammen: 

Erstens suchen Kunden vermehrt handwerkliche Produkte und sind gleichzeitig bereit, für diese mehr zu bezahlen. Wobei nicht immer alles unbedingt komplett von Hand hergestellt sein müsse, wie Testen anmerkt. Die Produkte sollten aber so aussehen, die entsprechenden Zutaten enthalten – und auch so beworben werden. 

Zweitens wünschten sich Kunden nicht immer etwas gänzlich Neues, sondern eher traditionelle Gebäcke mit einem „neuen Twist“. Etwa eine neue Zutat, Textur, Form oder Dekoration. Darunter mag vielleicht auch die neue „süße Brezel“ des Mainzer Brezelbäckers Ditsch fallen, deren Hefeteig wahlweise mit Cremefüllung, Schokoguss oder Streusel veredelt werden kann.  

AN PFLANZLICHEN ALTERNATIVEN FÜHRT KEIN WEG VORBEI

Und schließlich suchten Kunden verstärkt nach gesunden und pflanzlichen Alternativen, so die Puratos-Marktforschung. Man beobachte, dass Diskussionen um Darmgesundheit und Backwaren zunähmen, sagt Testen. Und an pflanzlichen Alternativen führe ohnehin kein Weg vorbei. Selbstredend, dass Puratos längst eine ganze Produktpalette für die Umstellung auf vegane Versionen kreiert hat. 

Vor allem für junge Menschen sei eine pflanzenbasierte Ernährung „ein Lebensstil und ein Ausdruck ihrer Werte“, stellt auch IREKS-Managerin Fuchs fest. Nach einem veganen Rührkuchen-Produkt und einer veganen Füllmasse gibt es jetzt auch ein Grünkernprodukt für herzhafte vegane Snacks, das für Hamburger-Patties, vegane Bolognese, als Brotaufstrich oder backfeste Füllmasse eingesetzt werden kann. 

BACKEN OHNE EIER? SOJA-PRODUZENTEN GROSS IM KOMMEN

In diesem Zuge geht es auch dem Ei an den Kragen. Für SoyAustria, das gerade einen Ei-Ersatz auf Sojabasis entwickelt hat, ist dies einer der aktuell „heißesten Trends“. Eine pflanzliche Eigelb-Alternative stellt Eurocas aus Rumänien vor. Und der irische Hersteller Kerry setzt auf die Reduzierung der notwendigen Eier mittels spezieller Enzyme. 

Laut Puratos-Marktforschung geht es vielen Kunden bei der gesunden Ernährung nicht nur um die Reduktion von Zucker, Fett, Gluten oder Kohlenhydraten, sondern auch gezielt um die positiven Wirkungen einzelner Inhaltsstoffe. Dieser Trend zu „funktionalen Lebensmitteln“ werde sich verstärken, so die Erwartung. Manch einen Bäcker hat dies bereits veranlasst, das Zukunftsgemüse Algen ins Brot zu bringen. Der österreichische Hersteller Backaldrin reagiert mit Sprossen, Amaranth und Quinoa – für mehr Balaststoffe, Proteine und Vitamine. 

NICHT ALLES MUSS FUNKTIONIEREN

Die Holzkirchener Bäckerei Kuhn setzt mit zwei neuen Brotsorten auf den Trend. Einem hefe- und mehlfreien Saatenbrot mit Agavendicksaft und Flohsamenschalen zur Bindung sowie einem Proteinbrot mit 22 Prozent Proteinen. Beide machten in den zwölf Filialen bislang allerdings nur einen Umsatzanteil im Promillebereich aus. 

Deutlich erfolgreicher sei laut Juniorchef Valentin Kuhn ein anderes neues Handwerksprodukt, die handgeschlungene und optisch ansprechende Knotensemmel, die man zudem mit 1,70 Euro für 125 Gramm Teig recht hochpreisig verkaufe. Nächstes neues Produkt – etwa alle drei Monate versucht Kuhn etwas Neues zu lancieren – soll ein Schokobrötchen werden, „mit hochwertiger Backschokolade, ohne Backmittel und am liebsten ohne Hefe“. Überhaupt würden alle neuen Produkte nach Clean-Label-Standards kreiert. 

BROTPURISTEN UND VOLLSORTIMENTER ERGÄNZEN SICH

Für Bäckerei-Berater Heger ist klar: Nicht jeder muss auf jeden Trend aufspringen: „Wir brauchen nicht in jedem Dorf vier Brotpuristen.“ Dass kleine, innovative Bäcker mit einem ausgesuchten Sortiment erfolgreich sein könnten, liege auch daran, dass es parallel dazu die Vollsortimenter gebe, die „den Handwerkern morgens Kaffee, Brötchen und Butterbrezeln bieten und nachmittags Teilchen für den Kaffeeklatsch“. 

Heger möchte Bäcker dazu animieren, mehr im Einklang zu denken – und „mutiger zu werden“. „Wir haben ja kurze Wege zum Kunden und sind im Grunde sehr flexibel“, so der Experte, „können heute etwas ausprobieren und es morgen auch wieder lassen.“ Aus der Not der Corona-Zeit heraus etwa hätten etliche Bäcker Automaten getestet, TK-Ware zum Zuhause-Aufbacken oder auch Online-Versand. Manches davon liefe „gar nicht schlecht“. Und beim Thema Snacks – hier haben die Bäckereien mit belegten Baguettes, Quiche und Bäcker-Pizza mittlerweile die Burger-Ketten überholt – seien die meisten bereits gut aufgestellt.  

„BÄCKER AUS DER NACHT HERAUSHOLEN“

Doch um Neues auszuprobieren, braucht man Zeit und Ideen, die im von Personalmangel geprägten Alltag häufig fehlen. Und hier schließt sich womöglich der Kreis zum Sauerteig. Für Experte Lepold ist das „heiße Thema“ aktuell nämlich die Gärverzögerung. Nicht nur aus Qualitätsgründen, sondern auch, um „die Bäcker aus der Nacht herauszuholen“. Denn bessere Arbeitszeiten würden „diesen erfüllenden Beruf“ sicherlich auch für den Nachwuchs attraktiver machen. „Backsau“ Schäfer ist bereits soweit. Nach 30 Jahren wolle er nicht mehr nachts arbeiten, sondern fange morgens um Sechs an. Sein Laden öffnet um Zehn. Dafür gibt es allerdings auch keine frischen Brötchen am Morgen. 

Jürgen Baltes 

„Wir brauchen nicht in jedem Dorf vier Brotpuristen.“ 

Bäckermeister Christoph Heger 

“Wenn „die Backsau“ so richtig in Fahrt kommt, gibt es Blumenkohl-Weiße-Schokolade-Brot.” 

Bäckermeister Sascha Schäfer 

Vor allem für junge Menschen sei eine pflanzenbasierte Ernährung „ein Lebensstil und ein Ausdruck ihrer Werte“ 

stellt auch IREKS-Managerin Petra Fuchs fest.  

Vegane Croissants: Die pflanzlichen Alternativen werden offensiv beworben. 

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