Interview mit Tim Lessau – Bäckermeister und Podcaster
Bäckermeister, Konditor, zertifizierter Brot-Sommelier und Co-Host beim Podcast „Brotale Bäcker“: Tim Lessau lebt seine Leidenschaft. Im Interview sprechen wir über Nachhaltigkeit, Automatisierung und Menschlichkeit und wie wichtig es ist, Dinge einfach auszuprobieren und neugierig zu bleiben.
Für die Leute, die dich nicht kennen, kannst du dich kurz vorstellen und erzählen, wie du in die Backbranche gekommen bist?
Tim Lessau: "Wir haben hier eine klassische Familienbäckerei mit aktuell 28 Standorten und sind auf zehn Wochenmärkten in und um Hamburg vertreten. Ich darf in sechster Generation die Braaker Mühle mit meinem Bruder, meinen Eltern und meiner Frau leiten. Mit unserer historischen Windmühle aus dem Jahr 1850 ging alles los. Mittlerweile verwenden wir auch andere Mehle als früher, aber wir führen nach wie vor noch unser Bio-Sortiment, das komplett von der Mühle versorgt wird. Das sehe ich als meine Aufgabe, das in die nächste Generation zu führen."
Zu eurer Mühle, was hat es damit auf sich?
Tim Lessau: "Mein Opa, der Vater meiner Mutter, hat meinem Vater unter die Arme gegriffen, um die Mühle wieder aufzubauen und hat sie auch unter Denkmalschutz setzen lassen. Wir haben es ihm zu verdanken, dass wir wieder zu unserem Ursprung zurückgekehrt sind. Seit 1996 vermalen wir Biogetreide in der Mühle für unsere Backstube, das hat der Bäckerei am Ende des Tages auch geholfen. Die Mühle sah 1990 so aus wie die Backstube: Es war alles nicht ganz funktionstüchtig und nicht alles hat funktioniert. Erst als wir zum Ursprung zurückgekehrt sind und unsere Identität wieder gefunden haben, hat es letztendlich gut funktioniert.
Wir restaurieren die Mühle gerade wieder, weil wir sie zu einem lebendigeren Museum machen wollen. Man kann sich den Mahlprozess dann anschauen. Außerdem haben wir den Gastrobereich im Erdgeschoss erweitert und bieten dort natürlich unsere Brote an. Man springt regelrecht zurück in die alte Zeit. Es wird, wenn wir schnell sind, noch zur iba fertig (lacht)."
Wie stellst du dir den Anbau der Zukunft vor? Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Trends und Entwicklungen, die eine moderne Bäckerei berücksichtigen sollte?
Tim Lessau: "Ich glaube, dass man die Möglichkeiten der Moderne nutzen sollte. Es wird unfassbar wichtig sein, Click und Collect Systeme clever zu integrieren. Das heißt, man muss vielleicht eine neue Denkweise an den Tag legen, wann man den Service einsetzt. Zum Beispiel kann ich mir vorstellen, dass man die handwerkliche Herstellung mehr in den Laden holt, in Form von frischem Backen, Barista Fähigkeiten und Snackzubereitung. Wir sollten in Zukunft viel frischer werden und die Technik für die lästigeren Aufgaben nutzten. Kassentätigkeiten sind meiner Meinung nach keine sinnvolle Arbeit in der Zukunft. Es sollte mehr Automatisierungslösungen geben, um mehr Kapazität für das eigentliche Handwerk zu haben."
Wie viel Mensch und wie viel Technik wird es in Zukunft geben? So wie du deine Zukunftsvision schilderst, klingt das sehr ausgewogen: Was mit dem Handwerk zu tun hat, bleibt beim Menschen und alles andere kann mit der Technik abgefangen werden.
Tim Lessau: "Das ist meine Idee, ja. Aber man kann es interpretieren, wie man will. Ich glaube nur, dass Verkaufen eine emotionale Geschichte in diesem Markt ist. Ich halte es für uns Handwerksbäckereien für unfassbar wichtig, diese handwerklichen Fähigkeiten zu zeigen und sie gewinnbringend einzusetzen. Backwaren kann man immer weiter verbessern. Ich glaube sogar, dass die Backwaren im Markt durch die Automatisierung und die Systematisierung teilweise nicht besser geworden sind, sondern eher schlechter, weil es mehr „Einheitsbrei“ und Massenprodukte gibt. Ich glaube, als Handwerksbäcker kann man eine gute Nische finden, wo man sagt: „Wir haben es drauf, wir haben das Handwerk und die Kompetenzen, um herausragende Qualität zu liefern.“ Die muss man auch liefern. Die Frische bei Backwaren kann man nicht wegdiskutieren. Autonome Bäckereien werden auch ihre Daseinsberechtigung haben und ihre Nischen finden. Aber da geht es weniger um die Menschen und die sozialen Begegnungen. Menschen begegnen sich unfassbar gerne und das kann auch in modernen Bäckereien sein."
Was hat dich dazu bewogen, ein Café in eurem Laden zu integrieren? Du hast schon gesagt, es sind Orte der Begegnung, aber wie stellst du dir diese Verbindung zwischen Bäckerei und Café vor?
Tim Lessau: "Bäckerei und Café gehört für mich zusammen. Ich glaube daran, dass wir einen Ort der Begegnung schaffen, wo wir tollen Kaffee anbieten und à la Carte Speisen, die wir zubereiten. Das sind Begegnungsorte, wo sich Menschen treffen und eine schöne Zeit haben. Da sind Backwaren natürlich ein unfassbar tolles Lebensmittel dafür, weil wir alleine schon durch den Geruch von frischen Backwaren ein Gefühl von Heimat vermittelt, wenn man so will. Man begibt sich gerne an diese Orte. Und das versuchen wir in unseren Café-Konzepten zu schaffen. Es gibt auch Cafés, in denen es nicht lebt. Das ist das, was ich mit Menschlichkeit meine. Man muss immer irgendwo auch eine Persönlichkeit vorfinden. Wir arbeiten auf der einen Seite sehr an Automatisierung und Modernisierung, aber wir brauchen auch diese menschliche Begegnung."
Nachhaltigkeit ist auf der iba ein präsentes Thema. Inwieweit spielen beispielsweise nachhaltige Öfen oder eine nachhaltige Einrichtung in deiner Bäckerei eine Rolle? Habt ihr dahingehend Ziele oder Ideen?
Tim Lessau: "Wir haben kurze Wege in der Belieferung. Wir versuchen sehr schonend mit den Rohstoffen umzugehen, weil wir das Unternehmen in die nächste Generation tragen wollen. Wir versuchen Lösung zu schaffen, von der auch die nächste Generation profitiert. Deswegen müssen wir per se sowieso nachhaltig denken. Wir arbeiten viel mit Photovoltaik-Anlagen. Die Flotte wird auf Elektro-Fahrzeuge umgestellt. Wir haben zum Beispiel ein Müllverfahren entwickelt, aus dem im Worst-Case-Szenario Biogas wird. Wir arbeiten mit der Tafel zusammen. Wir arbeiten mit einem 50%-Laden. Da wird am nächsten Tag alles zum halben Preis verkauft, wo es möglich ist. Wir arbeiten mit Landwirten zusammen. Und wir haben zum Beispiel das Restbrot-Verfahren. Diese Dinge sind für uns unfassbar wichtig. Wir überlegen fortlaufend, was man noch machen kann. Biogas zum Beispiel ist für uns ein Kostenpunkt. Wir haben damit keine Erlöse. Das ist eine Nachhaltigkeitsgeschichte, die wir so gerne umsetzen, damit wir ehrlich sagen können: wir schmeißen am Ende des Tages kein Lebensmittel weg und verwerten alle Ressourcen."
Auf der iba haben wir unter anderem die Fokusthemen Handwerk, Digitalisierung und Food Trends. Die gehören für die Aussteller und Besucher zu den wichtigsten Trends der Branche. Würdest du dem zustimmen oder hast du ein anderes Thema, das für dich gerade in dem Moment eine viel größere Relevanz hat?
Tim Lessau: "Es gibt viele Trends, die für alle irgendwo relevant sind. Und ich glaube schon, dass diese drei Begriffe passen. Aber wir müssen auch auf uns selbst schauen. Das habe ich in der Vergangenheit gelernt und ich glaube, das machen viele in der Branche falsch, immer irgendwelchen Dingen hinterherzulaufen, die gerade wichtig sind. Und auf der anderen Seite hat man große Defizite in dem Bereich, der eigentlich für den Markt schon komplett Standard ist. Deswegen, glaube ich, dass es wichtig ist zu schauen, was man braucht und wie man individuelle Lösungen findet, etwa zu Fragen wie: Hat das Team eine gewisse Stärke? Wie ist die Chemie im Team? Ich glaube, es ist wichtig, dass wir überhaupt die Menschen haben, die Menschen richtig ausbilden und es schaffen, dass Mitarbeitende gerne in einem Unternehmen sind und es schaffen, eine große Leistung für die gesamte Unternehmung zu erwirtschaften. Und auch wichtig: wie schafft man es, Menschen bei der Arbeit herauszufordern, damit sie sich nicht langweilen, sondern wachsen und eine Vision entwickeln, wo das Unternehmen hinkommen könnte."
Wir haben bei der iba einen neuen Wettbewerb: die Weltmeisterschaft der Brot-Sommeliers. Warum hat dich die Teilnahme gereizt?
Tim Lessau: "Ich muss erst die Vorrunde bestehen (lacht). Ob ich das schaffe, weiß ich nicht. Aber ich finde, man sollte Dinge einfach ausprobieren und schauen, was dabei rauskommt. Der Brot-Sommelier bringt viel für die Branche, weil wir eine andere Sichtbarkeit bekommen haben und das Handwerk dementsprechend wirklich geschätzt wird. Deswegen halte ich auch sehr viel von der Idee, die WM der Brot-Sommeliers auszuführen. Es ist ein Wettkampf, bei dem man sich weiterentwickelt, auch wenn man nicht gewinnt."
Was ist deine Vision für deine Filialen in fünf Jahren?
Tim Lessau: "Wir schauen immer, dass wir verlaufsoffen sind und neugierig bleiben. Als Braaker Mühle wollen wir weiterhin daran schrauben, Marktführer in Sachen Freundlichkeit und Qualität zu sein. Das heißt, unser Anspruch ist immer, die besten und leckersten Backwaren in der Region anzubieten. Wenn ein spannendes Konzept, eine Idee oder eine spannende Ladenfläche oder irgendwas auf der Straße liegt, dann greife ich zu. Aber grundsätzlich ist unsere Idee, mehr Geschäfte ins Eigentum zu bringen, um Sicherheiten für die Zukunft zu haben. Beispielsweise Standorte, die noch handwerklicher sind, aber auch in Kombination mit Click und Collect funktionieren. Und ich möchte, dass die Mühle ein Ausflugsort für Menschen ist, die sie in Kombination mit der Bäckerei erleben wollen und dass wir ein fester Bestandteil der Region sind. Wir haben keine großangelegten Wachstumsziele. Es kann sein, dass wir ein, zwei, drei Läden mehr haben werden. Es kann auch sein, dass wir ein oder zwei schließen, wenn wir sehen, dass die Beziehung nicht mehr passt. Ich möchte einfach tolle Beziehungen mit den Partnern haben und Win-Win-Situation schaffen, gute Beziehungen zu den Kunden haben, und auch dort Win-Win-Situation schaffen. Ich möchte auch, dass alle Mitarbeiter, die hier sind, gerne bei der Arbeit sind und dass wir zusammen einfach geile Sachen machen."
Was würdest du einem Bäcker raten, der mit seiner Ausbildung fertig und bereit für den nächsten Schritt ist?
Tim Lessau: "Eindrücke sammeln. Ich bin in sechs verschiedenen Bäckereien gewesen, bevor ich nach Hause gekommen bin und das war sehr lehrreich für mich. Ich würde jedem raten, nicht in einem Betrieb zu bleiben, sondern ein bisschen durch die Lande ziehen. Natürlich kann man sich selbstständig machen. Man kann aber auch sehr gut als Mitarbeiter in tollen Betrieben arbeiten und neugierig bleiben.
Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sein Leben lang jeden Tag wiederholt, ohne eine Begeisterung für etwas entwickeln zu können. Das würde ich jedem abraten. Also man sollte immer sehr begeistert und offen in den Tag starten, sehen was kommt und dann versuchen, das geilste Brot zu kreieren."
Du hast einen Podcast zusammen mit Christian Dick, "Brotale Bäcker". Haben dich Aussagen von Interviewpartnern zum Nach- oder sogar Umdenken gebracht?
Tim Lessau: "Einen richtigen Schock hatte ich bisher noch nicht. Wenn ich an das Interview von Axel denke, ist es so, dass ich bei manchen Sachen sagen würde: Es wäre nicht meins, das so zu machen, weil ich kein Mensch bin, der seinen Sauerteig mit Heavy Metal beschallt (lacht). Auf der anderen Seite passt das zu seiner Persönlichkeit und er macht sein Ding. Und ich glaube, das ist das, was wir als Bäckerei oder Einzelperson mehr aus uns herausarbeiten sollten. Ladenbau muss sich der Person bzw. der Bäckerei anpassen. Dafür muss die Bäckerei dementsprechend auch daran gearbeitet haben, wer sie ist. Sonst kommen wir wieder zum Einheitsbrei."
Was bedeutet Regionalität für dich?
Tim Lessau: "Die Gleichschaltung von Dingen ist für mich eine Sache, die ich nicht mag. Die Regionalität und Individualität, die wir eigentlich alle haben, diese zu erkennen, wertzuschätzen und ausleben zu können und auch die Unterschiede zu feiern, das ist für mich Regionalität."