Aufbruchstimmung in der Backbranche
iba.TOPIC: FACHKRÄFTE
Der Fachkräftemangel trifft die Bäckerbranche hart. Doch inmitten dieser Krise wächst auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen – mit innovativen Bildungsformaten, modernen Arbeitsmodellen und mit Unternehmergeist.
Der Duft von frischem Brot am frühen Morgen, volle Ladentheken und das vertraute Gesicht hinter der Theke – das traditionelle Bäckerhandwerk ist für viele Menschen ein wichtiger Teil des Alltags. Brot und Backwaren stehen dabei wie kaum ein anderes Lebensmittel für regionale Verwurzelung und Vielfalt. Doch hinter dieser vermeintlichen Beständigkeit verbirgt sich eine Branche im Umbruch.
Der demografische Wandel, veränderte Konsumgewohnheiten und allen voran der massive Fachkräftemangel setzen viele Betriebe unter Druck. Immer mehr Bäckereien geben auf, nicht weil die Kundschaft ausbleibt, sondern weil das Personal fehlt oder keine Betriebsnachfolge gefunden werden kann. „Der Fachkräftemangel im Bäckerhandwerk ist mittlerweile gravierend und stellt für viele Bäckereibetriebe in Deutschland eine große Herausforderung dar. Filialen müssen teilweise kurzfristig schließen oder haben verkürzte Öffnungszeiten, weil Personalausfälle nicht kompensiert werden können“, erläutert Nils Konstantin Vogt, Referent für Berufsbildung und Fachkräftesicherung beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.
Insbesondere kleinere, familiengeführte Bäckereien müssen mit der Mammutaufgabe umgehen, Nachwuchs zu gewinnen, Mitarbeiter*innen langfristig zu binden und wettbewerbsfähig zu bleiben. Parallel dazu wächst innerhalb der Branche aber auch das Bewusstsein dafür, dass sie mit mehr Innovation, mehr Sichtbarkeit und einem neuen Selbstbewusstsein im Handwerk gegensteuern kann. „Bäckereien, die heute erfolgreich Fachkräfte gewinnen oder halten, tun das durch eine Kombination aus Innovation und Wertschätzung. Dabei setzen erfolgreiche Bäckereien auf eine moderne Ansprache, gute Arbeitskultur und gezielte Benefits – individuell angepasst an ihre Mitarbeitenden“, betont Vogt.
Bildung als Schlüssel zur Zukunft
Eine Institution, die diesen Wandel aktiv mitgestaltet, ist die Bundesakademie Weinheim. Unter der Leitung von Bernd Kütscher hat sich die Akademie zu einer zentralen Plattform für Fachkräfteentwicklung, Talentförderung und Imagearbeit im Bäckerhandwerk entwickelt. Der Ansatz: Das Handwerk stärken durch exzellente Aus- und Weiterbildung, international anerkannte Abschlüsse und neue, inspirierende Karrierewege.
„Die Nachfrage nach unseren Aus- und Weiterbildungsangeboten ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Neben den traditionellen Kursen zum Bäckermeister, zum Konditormeister, zum Betriebswirt oder zur Verkaufsleiterin erfreuen sich auch die innovativen Bildungsangebote großer Beliebtheit“, so Kütscher. Mit Angeboten wie dem Brotsommelier-Programm ist es der Akademie erfolgreich gelungen, den Beruf des Bäckers neu zu positionieren – als Genießer, als Handwerkskünstler, als Unternehmer. „Die Fortbildung zum Brotsommelier hat die Branche spürbar verändert, weil dem Lebensmittel Nummer eins heute wieder eine größere Wertschätzung entgegengebracht wird. Solche Formate tragen außerdem dazu bei, das Berufsbild attraktiver zu gestalten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, ist Kütscher überzeugt – und bezieht sich damit nicht nur auf wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch auf Anerkennung, Motivation und Identifikation mit dem Beruf. Die Ergebnisse sprechen für sich: Seit Einführung des Brotsommelier-Programms 2015 wurden 279 Absolvent*innen aus 12 Ländern zertifiziert.
Zwischen Anspruch und Alltag: Die Herausforderungen der Praxis
Doch trotz solcher Leuchtturmprojekte bleibt der Fachkräftemangel eine der drängendsten Fragen der Branche. In vielen Betrieben fehlen junge Menschen, die sich für eine Ausbildung begeistern, auch wenn laut Zentralverband im letzten Ausbildungsjahr die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr erfreulicherweise spürbar auf 11.000 Auszubildende angestiegen ist – das sind rund 1.000 Auszubildende mehr als im Jahr 2023. „Das Handwerk litt lange unter einem Imageproblem. Der handwerkliche Beruf des Bäckers hat in der Gesellschaft oft nicht den Stellenwert, den er verdient. Außerdem wählen immer mehr Jugendliche den Weg über das Abitur und ein Studium, statt eine duale Ausbildung zu beginnen“, erklärt Nils Konstantin Vogt.
Viele Betriebe haben vor diesem Hintergrund erkannt, dass klassisches Ausbildungsmarketing allein nicht reicht. Gefragt ist eine moderne Kommunikation, die zur Lebensrealität junger Menschen passt und echte Karriereperspektiven bietet. Hier setzt der Zentralverband mit seiner Initiative „Back dir deine Zukunft“ an – mit authentischen Einblicken durch „Backfluencer“, Berufsorientierungsangeboten und einem eigenen Online-Portal. Seit Januar 2025 ist auch der digitale Azubi-Campus verfügbar – mit Lernvideos, Übungsaufgaben und einem kostenfreien „Erfolgstrainer“.
Weiterbildung, Quereinstieg und internationale Rekrutierung
Der Mangel an Nachwuchskräften macht deutlich, wie wichtig Investitionen in Weiterbildung sind. Ein vielversprechender Ansatz ist die Qualifizierung von Quereinsteigern und Personen ohne Berufsausbildung. Mit solchen Maßnahmen lässt sich nicht nur sicherstellen, dass das Qualitätsniveau in Backstube und Verkaufsraum erhöht wird, sondern auch, dass Mitarbeitenden ein Interesse und Fachwissen rund um das Thema Backwaren und Brot vermittelt wird.
Bildungseinrichtungen wie jene in Weinheim machen sich dabei zunehmend auch die Vorteile der Digitalisierung zunutze: „Wir nutzen selbst moderne Technologien, um Lerninhalte flexibel und interaktiv zu gestalten. Beispielsweise bieten wir Online-Seminare und Webinare an, die den Teilnehmern orts- und zeitunabhängiges Lernen ermöglichen“, so Kütscher.
Immer mehr Betriebe weiten außerdem ihren Suchradius aus – etwa nach Südostasien oder Nordafrika. „Wir erleben hier eine große Offenheit bei den Betrieben, diesen Weg für sich zu nutzen. Die Rekrutierung von Auszubildenden aus Drittstaaten ist sicherlich mit Mehraufwand und einigen Hürden verbunden, aber es lohnt sich. Hier sind uns zahlreiche positive Beispiele bekannt“, meint Nils Konstantin Vogt.
Eine Initiative, die sich dafür einsetzt, Fachkräfte aus Südost-Asien an Handwerksbetriebe in Deutschland zu vermitteln, ist Go German. Immer mehr junge Menschen aus dieser Region entscheiden sich nach der Erfahrung von Inhaber Ron Schenke für eine Ausbildung im Bäckerhandwerk: „Während die deutsche Ausbildung in der Bäckerei vor acht Jahren in Asien noch völlig unbekannt war, interessieren sich heute rund ein Viertel der Bewerber gezielt für eine Ausbildung im Bäckereibereich – sei es als Bäcker*in, Konditor*in oder Verkäufer*in.“ Die Initiative – die auch auf der iba ausstellt – arbeitet deutschlandweit mit über 20 Bäckereien zusammen. „Unsere Auszubildenden kommen vor allem aus Indonesien und Malaysia, wo wir eigene Sprachschulen betreiben und die zukünftigen Auszubildenden sprachlich und kulturell vorbereiten. Viele von ihnen sind inzwischen fest im Betrieb integriert und tragen aktiv zum Erfolg bei.“
Vom Überlebensmodus zur Zukunftsstrategie
Der Wandel im Kampf gegen den Fachkräftemangel erfordert viele gezielte Maßnahmen, aber auch ein umfassendes Konzept, das Ausbildung, Integration, Arbeitgeberattraktivität und betriebliche Kultur zusammendenkt. „Der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften kann aber auch eine Chance sein, wenn wir lernen, ihn als solche zu begreifen. Es gilt, gewohnte Pfade zu hinterfragen, Strukturen neu auszurichten und Mut zur Veränderung zu haben – dies kann allen Seiten helfen“, sagt Nils Konstantin Vogt.
Das zeigt sich auch am Beispiel zahlreicher Betriebe, sozialer Initiativen und Bildungsdienstleister, die sich für die Fachkräftegewinnung und Qualifizierung im Bäckerhandwerk engagieren. So betreiben größere Unternehmen wie „Schäfer Dein Bäcker“ oder Kamps eigene Schulungszentren, um Mitarbeiter gezielt weiterzubilden und Führungskräfte zu entwickeln. Gleichzeitig entstehen digitale Lösungen wie „BackOfficeDigital“ oder das Projekt „Digi-BacK“, die E-Learning-Angebote speziell für kleine und mittelständische Bäckereien bereitstellen. Diese vielfältigen, praxisnahen Ansätze zeigen, dass auch jenseits klassischer Ausbildungspolitik neue Wege beschritten werden, um Fachkräfte zu gewinnen, zu binden und weiterzuentwickeln.
Das Bäckerhandwerk steht vor einer Zeitenwende. Die Herausforderungen sind real – aber auch die Chancen. Wer junge Menschen für das Handwerk gewinnen will, muss ihnen etwas bieten, das über den klassischen Karriereweg hinausgeht. Doch Nils Konstantin Vogt ist sich sicher: „Das Bäckerhandwerk bietet echte Perspektiven für junge Menschen, die etwas Sinnstiftendes und Kreatives machen wollen. Und wer sein eigener Chef werden will, kann diesen Traum ganz schnell verwirklichen.“
Alexander Stark
Fachkräftemangel
Seit 2014 sind 20.000 Arbeitsplätze verloren gegangen. Gleichzeitig steigt der Anteil an Teilzeitkräften auf knapp 40 Prozent. Erfreulich ist die Entwicklung bei den Auszubildenden zum/zur Fachverkäufer*in im Bäckerhandwerk. Dort gab es 2024 einen Zuwachs von 22,5 Prozent. (Quelle: Bäckerei-Monitor)
Entwicklung der Beschäftigten im Bäckerhandwerk 2014 –2024
2014 – 277.200
2015 – 275.200
2016 – 273.400
2017 – 273.700
2018 – 270.400
2019 – 266.000
2020 – 255.300
2021 – 240.800
2022 – 238.200
2023 – 235.200
2024 – 235.000
Quelle: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V. nach Daten des Statistischen Bundesamtes, Berlin 2025