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Fachwissen iba 2025

iba.TOPIC: HANDWERK

Handwerksbäcker und das Comeback des Sauerteigs Alte Rezepte kombiniert mit neuen Ideen: Kreative Köpfe haben Backstuben in Manufakturen verwandelt.

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Düsseldorf, Deutschland

Kurz nach elf Uhr, die Bäckerei von Michael Kress in einem Weinheimer Gewerbegebiet hat gerade erst geöffnet. Trotzdem hat sich schon eine Schlange vor der Ladentür gebildet. Dabei ist der ausgebildete Brotsommelier erst vor zwei Jahren, im Juli 2023, mit seinem kleinen, aber feinen Geschäft in das historische Gebäude aus gelben und roten Backsteinen eingezogen. Qualität spricht sich eben schnell herum.

Ein Jahr vor der Eröffnung hatte sich der Bäckerssohn für eine Zäsur entschieden – er übernahm nicht die Regie im Familienbetrieb. Eine 98-jährige Ära ging im nordbadischen Weinheim zu Ende. „Ich wollte alles anders machen“, versichert Kress mit einem gewinnenden Lächeln. Brot ist seine Leidenschaft, für die er zu keinen Kompromissen bereit ist. „Ich habe das Sortiment auf 15 bis 20 Artikel geschrumpft und arbeite mit Sauerteig, hauptsächlich aus Bio-Mehlen, und ganz langen Reifezeiten.“ Das alles macht er transparent: Im Laden können die Kunden seinen Mitarbeitern durch große Glasscheiben auf die Finger schauen. Bei einem Blick nach links sehen sie, wie ein Bäcker gerade Teiglinge per Hand ausrollt. Und wer sich kurz umdreht, guckt direkt in den modernen Elektroofen. „Die gläserne Manufaktur soll Vertrauen schaffen“, erläutert Kress. Und zeigen, dass hier echtes Handwerk betrieben wird.
Mit diesem Modell liegt der Weinheimer Qualitätsbäcker, der auf der diesjährigen iba auch für die Weltmeisterschaft der Brotsommeliers nominiert ist, im Trend. „Die kleinen Mikro- und Mini-Bäckereien, die sich auf wenige Produkte fokussieren und in absoluter Spitzenqualität herstellen, gibt es immer mehr. Und diesen Betrieben geht es auch wirtschaftlich gut“, sagt Thomas Muschelknautz, der stellvertretende Leiter der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim. Die neue Generation verzichtet auf Back­mischungen und streicht ihre Zutatenliste zusammen. Sie entdeckt alte Traditionen wieder, verwendet Sauerteig und lässt den Teig lange reifen. Bei Kress zum Beispiel dauert es drei Tage, bis ein Dinkelbrot in den Ofen geschoben wird.  

Alte Getreidesorten und Sauerteig sind angesagt

„In den letzten Jahren hat Sauerteigbrot ein echtes Comeback erlebt“, freut sich auch Roland Ermer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Gleiches gelte für Getreidesorten, die schon unsere Vorfahren verwendet ­hätten – wie Einkorn, Dinkel und Emmer. Celestina Brandt, die erste Brotsommelière Thüringens und Bäckerin des Jahres 2023, ist eine Expertin auf diesem Gebiet. In ihrer Buttstädter Vollkornbäckerei verwendet sie Getreide, das in ihrer Region wächst. „Gerade habe ich Waldstaudenroggen neu ins Sortiment aufgenommen“, sagt sie. Jeden Donnerstag begibt sich die prominente Bäckerin aus dem ländlichen Buttstädt auf eine Zeitreise in die Vergangenheit und heizt im Backhaus im benachbarten Burgwenden den Holzofen an.

Auch wenn die Edelbäckerinnen und -bäcker das alte Handwerk hochhalten, rückwärtsgewandt sind sie deshalb keineswegs. „Das handwerkliche Können und die Kenntnis traditioneller Herstellungsmethoden sind die wertvolle Grundlage für Food-Innovationen“, betont Ermer. Auch in der 110 Quadratmeter großen Backstube von Kress wird ständig an neuen Kreationen getüftelt. „Da wir keine Fertigmischungen verwenden, haben wir die Freiheit“, versichert er. Auch beim Feierabendbier lassen sich der Brotsommelier und sein Team schon mal Rezepte einfallen. „Da kommt dann jemand auf die Idee, etwas mit Cashew­kernen, Curry und Orangensaft zu machen“, erzählt er. So entstand das Dinkel-Curry-Cashew-Baguette, das heute ein Umsatzbringer ist.  

Engagierte Bäcker profitieren von Brot-Sommelier Kursen

Hochwertiges Brot zu backen ist die eine Sache, es den Kunden schmackhaft zu machen die andere. Auch beim Marketing sind gerade die auf die Handwerkskunst fokussierten Bäckereien kreativ und flexibel. Das Know-how dafür wird in den Lehr­gängen zum Brotsommelier, die die Weinheimer Bundesakademie gibt, weitergegeben. Celestina Brandt und Michael Kress bestätigen, davon profitiert zu haben. Allein schon, weil man lernt, über den Geruch und Geschmack des Brotes zu sprechen wie über guten Wein. Duftet das Brot nach Kastanien oder doch eher nach Honig? „Dieses Riechen und Schmecken hat mir Mega-Spaß gemacht“, erinnert sich Brandt gerne an ihren Lehrgang 2022 zurück.

Kenntnisse, die Brandt und Kress in ihren Backkursen auch Laien vermitteln. „Diese Kurse sind ein Superspreader“, freut sich Kress. „Wenn man in der Backstube selbst Brot backen kann, bekommt man eine ganz andere Wertschätzung für den Beruf.“ Brandt wirbt darüber hinaus für ihre Bäckerei mit Events wie mit Brotgenuss-Abenden, Konzerten oder Veranstaltungen mit Winzern aus der nahe gelegenen Saale-Unstrut-Weinregion.  

Wer wird Weltmeister? 

Zum ersten Mal findet in diesem Jahr die Weltmeisterschaft der Brotsommeliers auf der iba statt. „Die iba bietet die perfekte Bühne, um mit Wettbewerben die Exzellenz im Bäckerhandwerk herauszustellen und zu präsentieren“, betont Roland Ermer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. 44 Brotsommeliers haben sich für die Teilnahme beworben, 16 haben sich über einen Online-Vorentscheid für das Finale qualifiziert. Geprüft wird in drei Disziplinen: Zunächst müssen die Brotsommeliers ihre Kenntnis von Brotsorten aus aller Welt beweisen, dann folgt die Aroma-Challenge und zum Schluss soll jeder Teilnehmende ein Brot in eigenen Worten präsentieren.

Kreativität und Nachhaltigkeit sind unverzichtbar

Brotbacken kann sogar mehr als Handwerk sein. Einige Bäckerinnen und Bäcker sind im wahrsten Sinne des Wortes Brotkünstler. „Der Begriff Handwerkskunst geht tatsächlich auch in Richtung Kunst. Bei den Berufswettbewerben sieht man, wie künstlerisch Brot sein kann“, findet Muschelknautz. Die amtierende Deutsche Meisterin Lea Wagner aus dem unterfränkischen Aschfeld hat die Brotmalerei zur Perfektion gebracht. In den sozialen Netzwerken oder im Fernsehen zeigt sie, wie sie aus einer Mischung von Kakao und Wasser Porträts auf einen Sirupteig zaubert.

Neben altem Handwerk und innovativen Rezepten spielt für die neue Bäckergeneration die Nachhaltigkeit eine große Rolle. Dafür hat Kress zum Beispiel in moderne Hightech-Geräte investiert, wie einen Elektroofen, der sich etagenweise beheizen lässt. „Wir verwenden keine fossilen Brennstoffe mehr in der Produktion und beziehen Ökostrom, um unseren C02-Fußabdruck zu verringern“, erklärt Kress. Auch hier trifft Tradition auf Moderne.